Paderborns Feuerwehrleute demonstrieren vor dem Rathaus für Anerkennung alter Überstunden.
Paderborn (WV). Jörg Geisen macht seinen Job aus Überzeugung. Er ist hauptamtlicher Oberbrandmeister bei der Paderborner Feuerwehr. Auch Überstunden sind für ihn kein Thema. Gestern ging er dennoch mit etwa 80 Kollegen auf die Straße. Denn für fast 1500 Stunden Mehrarbeit hat er bisher keinen Cent gesehen.
Etwa 80 Feuerwehrleute der Paderborner Berufsfeuerwehr demonstrierten gestern vor dem Paderborner Rathaus. Sie wollten darauf aufmerksam machen, dass in den Jahren 2001 bis 2006 fast 150 000 Überstunden angefallen, aber bisher vom Arbeitgeber, der Stadt Paderborn, nicht bezahlt worden sind.
Vielen seiner insgesamt 147 Kollegen geht es ähnlich. Deshalb zogen sie mit Bannern und Sirenen zu einer Kundgebung vor das Paderborner Rathaus. Von dort ging es zur Paderhalle, wo gestern die Personalversammlung der Stadt Paderborn tagte.
»Bisher haben wir still gehalten und lassen uns seit Jahren vertrösten. Jetzt wollen wir eine Stellungnahme der Stadt«, erläutert Bernhard Tuschen, Personalratsvorsitzender Liste Feuerwehr. Insgesamt seien etwa 150 000 Überstunden aus den Jahren 2001 bis 2006 nicht vergütet worden. 11,27 Euro sei jede dieser Stunden wert. »Die Leute machen ihren Job alle gut. Jeder arbeitet mindestens fünf Stunden im Monat für lau. Doch wenn unsere Anträge zwölf Jahre lang nicht bearbeitet werden, ist das demotivierend«, so Tuschen, dem es um Anerkennung der geleisteten Arbeit geht.
Das Problem ist kein spezielles Paderborner Problem. Bereits 1996 hatte der Europäische Gerichtshof die maximale Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden festgelegt. geleistet wurden tatsächlich aber 54 Stunden. Bundes- und europaweit sind seit Jahren etliche Verfahren anhängig. Jörg Geisen fürchtet dennoch, leer auszugehen. »Es hieß immer, wir müssten keine Einzelanträge stellen, sondern nach einem Urteil würden alle gleich behandelt. Darauf haben wir vertraut. Jetzt haben wir aber gehört: Wer keinen Antrag gestellt hat, bekommt auch nichts«, so der Oberbrandmeister. »Das ist Arbeit, die wir geleistet haben, wir wollen nur unser Recht«, pflichtet ihm Kollege Hakan Ari bei.
Zur Demonstration waren auch der stellvertretende Bürgermeister Dieter Honervogt, die Leiterin des Haupt- und Personalamtes, Monika Bürger, und der Personalratsvorsitzende Hans-Ulrich Voss gekommen. »Ich sehe gute Chancen auf ein einvernehmliches Ergebnis. Aus der Verwaltung haben wir entsprechende Signale empfangen«, so Voss. Auch Stadtpressesprecher Jens Reinhardt beruhigt: »Die Stadt will nichts verschleppen oder auf Zeit spielen. Der Bundesgerichtshof hat erst im Juli 2012 ein Urteil gefällt. Die Stadt wollte zunächst Rechtssicherheit haben.« Derzeit werde errechnet, welche Summe jedem Feuerwehrmann je nach Besoldungsgruppe zustehe. »Ich gehe davon aus, dass wir Ende des Monats damit abschließen können«, so Reinhardt. Ebenso wenig wolle man die Feuerwehrfamilie auseinanderdividieren. Ziel sei eine ordentliche und gerechte Lösung für alle. Damit käme auf die Stadt ein Millionenbetrag zu, wofür aber Vorbereitungen getroffen worden seien.
Dieter Honervogt hatte aus der Zeitung von der Demonstration erfahren. »Ich hätte mir zwar gewünscht, dass der Diskussionsprozess zwischen Feuerwehr und Verwaltung erst abgewartet wird, aber die Demonstration ist natürlich ein Grundrecht der Feuerwehrleute«, sagte der stellvertretende Bürgermeister. Er erinnerte zudem daran, dass die Planstellen bei der hauptamtlichen Feuerwehr auf 166 aufgestockt worden seien.
Angst um ihre Sicherheit müssten die Paderborner trotz der Empörung der Hauptamtlichen nicht haben. Eine Arbeitsniederlegung komme überhaupt nicht in Frage. »Wer so denkt, ist hier fehl am Platz«, sagt Bernhard Tuschen.
Im Jahr 2007 haben sich Stadtverwaltung und Wehrleute im Übrigen auf die »Opting-Out-Regelung« geeinigt. Danach wird Mehrarbeit pro Schicht mit 20 Euro vergütet, alternativ gibt es Freizeitausgleich. »Mit dieser Regelung sind wir zufrieden«, so Tuschen. Auf das ausstehende Geld wollen die Berufswehrleute aber nicht verzichten.
Bericht: Westfälisches Volksblatt von Marion Neesen
Neue Westfälische
Paderborn. Detlef Leiwen und Johannes Hesse sind extra mit der Handsirene angerückt. Leiwen hält den Apparat, während Hesse kräftig kurbelt. Ohren betäubend - aber wirkungsvoll. Die Blauröcke haben in hundert Meter Umkreis volle Aufmerksamkeit. Die beiden Oberbrandmeister bildeten gestern sozusagen die akustische Einsatzgruppe für eine Premiere: Denn zum ersten Mal überhaupt machten Paderborns hauptamtliche Blauröcke auf ihre Belange öffentlich in Form einer Demonstration mit Plakaten vor dem Rathaus aufmerksam.
Mehr als die Hälfte der offiziell insgesamt 148 hauptamtlichen Feuerwehrleute kamen zu dem Einsatz in eigener Mission - ohne, dass die Dienst- und Einsatzstellen deshalb verwaist geblieben wären. Ihnen geht es um die Anerkennung von zwischen 2001 und 2006 geleisteten Überstunden in Form von Bereitschaftsdiensten. "Eine Regelung darüber mit unserem Dienstherren, der Stadt, ist seit Jahren überfällig", sagt Bernhard Tuschen, Vertreter der Feuerwehr im Personalrat der Stadt Paderborn. Bewusst habe man für die Demonstration den Tag der jährlichen Personalversammlung städtischer Bediensteter ausgewählt. Diese fand gestern in der Paderhalle statt.
Die Feuerwehrleute rechtfertigen ihre Forderung unter dem Motto "Für ehrliche Mehrarbeit ehrliche Vergütung" mit der Gesetzeslage. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes schon aus dem Jahr 1996 sei nämlich auch in Deutschland seit 2000 die volle Anerkennung von Bereitschaftsdiensten als Arbeitszeit anerkannt worden. In Paderborn habe man das Problem aber lange ausgesessen und sich erst ab 2007 auf die noch heute gültige Regelung geeinigt, wonach die Bereitschaftszeiten individuell pro Schicht mit 20 Euro oder auch Freizeitausgleich abgegolten werden können. Damit sei man aktuell auch zufrieden. Für die Jahre von 2001 bis 2006 fordere man jedoch nach wie vor einen gerechten Ausgleich. Tuschen bezifferte die Zahl der damals angefallenen Überstunden auf 150.000.
Hans-Ulrich Voss, Personalratsvorsitzender der Stadt Paderborn, äußerte gestern die Erwartung, dass die Überstunden-Altlast in Kürze geregelt werden könne. "Die Signale stehen gut", sagte er. Monika Bürger, Leiterin des Hauptamtes der Stadt Paderborn, begründete die lange Dauer des Streits damit, dass es nach einem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Juli 2012 erst jetzt eine Grundlage gebe, an der man sich für eine Lösung orientieren könne. Auch Dieter Honervogt, stellvertretender Bürgermeister der Stadt Paderborn, setzte sich vor Ort mit den Feuerwehrleuten auseinander. "Ich verstehe die Forderungen, hätte mir aber gewünscht, dass man vielleicht erst dann demonstriert, wenn die Gespräche mit der Stadt gescheitert wären."
Rund um die Uhr im Dienst
Pro Tag rückt die Paderborner Feuerwehr im Durchschnitt zu 76 Einsätzen im Brandschutz und im Rettungsdienst aus. Hauptamtliche Feuerwehrleute sind in der Regel (inklusive Bereitschaft) für 24 Stunden im Dienst und haben danach 48 Stunden frei. Die Zahl der Feuerwehrleute in Paderborn ist in den letzten Jahren durch stetig steigende Anforderungen an den Dienst, aber auch wegen der Gesetzeslage stetig gewachsen. (ig)
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