Hand in Hand arbeiten Paderborner Feuerwehrleute, THW-Helfer und Freiwillige in Schönebeck (Sachsen-Anhalt) gegen die Flut der Elbe. 120 Einsatzkräfte aus dem Kreisgebiet sind vor Ort. Sie gehören zur Bezirksreserve Paderborn-Höxter.
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Drama am Deich
Paderborner Einsatzkräfte kämpfen um die 33 000-Einwohner-Stadt Schönebeck
Paderborn (WV). Mehr als 120 Feuerwehrleute, THW-Helfer und DLRG-Mitglieder aus dem Kreis Paderborn kämpfen gegen das Hochwasser bei Magdeburg. Sie sind nach stundenlangen Tag- und Nachteinsätzen am Rande ihrer Kräfte – und die Deiche drohen weiter zu brechen. »Bei den Meldungen bekommen selbst gestandene Feuerwehrleute eine Gänsehaut«, sagt Kreisbrandmeister Elmar Keuter.
Von Jürgen Vahle
Seit Freitag sind die 71 Feuerwehrleute aus dem Kreis Paderborn in der Elbe-Stadt Schönebeck in Sachsen-Anhalt. Sie sind Teil der Bezirksreserve Paderborn-Höxter. 26 THW-Helfer sowie Experten der DLRG hatten sich schon vorher auf den Weg in die Stadt gemacht. Gemeinsam mit Kräften aus allen Teilen der Republik und der Bundeswehr kämpfen sie dort gegen die Wassermassen der Elbe.
Eine lange Pause nach der fast neunstündigen Anreise gab es am Freitag nicht, nachdem die Einsatzkäfte in der Grundschule in Schönebeck ein Quartier gefunden hatten. Allein in der Nacht zu Samstag haben sie 18 000 Sandsäcke gefüllt und am Deich verbaut. Die Verschnaufpausen nach zehn Stunden Arbeit waren kurz. »Ablösungen sind aufgrund der aktuellen Lage nicht möglich«, berichtet Niklas Schäfers, mitgereister Pressesprecher der Paderborner Kreisfeuerwehr.
Der Einsatz ist für die Helfer mit Risiken verbunden. »Das Betreten der Deiche und des Uferbereichs ist extrem gefährlich. Alle Fahrzeuge stehen in Fluchtrichtung, damit wir bei einem plötzlichen Dammbruch binnen drei Minuten die Flucht ergreifen können«, schreibt Schäfers in einem eingerichteten Internet-Live-Ticker.
Die mehr als 120 Kräfte aus der Region waren auch gestern stundenlang damit beschäftigt, einen Überlaufschutz zu errichten und Risse im Deich wieder abzudichten. »Technisches Großgerät kann im Deichbereich nicht eingesetzt werden. Da ist Manpower gefragt«, berichtet Andreas Müller, Wehrführer aus Büren. Sandsäcke werden mit Schubkarren oder per Menschenkette zum Bestimmungsort gebracht. Eine Herkulesaufgabe: Die besonders unsichere Stelle des Deiches erstreckt sich auf einer Länge von vier Kilometern. Der Paderborner Einsatzleiter Bernhard Lücke aus Bad Wünnenberg (stellvertretender Kreisbrandmeister) und Alfons Bunte (Wehrführer aus Salzkotten) koordinieren mittlerweile auch den Einsatz der Helfer anderer Verbände im Stadtgebiet Schönebeck aus der zentralen Leitstelle.
Nur wenige Zentimeter waren die Wassermassen gestern noch von der Spitze des Deiches entfernt. Aber es geht nicht nur um die Deichkronen – die Standfestigkeit des gesamten Walls galt und gilt es für die Paderborner zu sichern, zumal steigendes Grundwasser immer mehr zum Problem wird. Die Einsatzkräfte mussten im Laufe des Sonntags Wathosen und teils Schwimmwesten zur eigenen Sicherheit überstreifen.
Ganz anders geartet ist der Einsatz der Paderborner DLRG. Sie helfen beim Verstopfen von Rohren in der Elbe mit großen Sandsäcken. Damit sollen diese Zuleitungen so abgedichtet werden, dass kein Wasser in die Stadt drücken kann. »Problematisch für unsere Taucher ist die schlechte Sicht unter Wasser – und die Strömung fordert unseren Einsatzkräften alles ab«, berichtet Ronald Kleinberg, stellvertretender Vorsitzender der DLRG-Ortsgruppe Paderborn. Wann der Einsatz für die Paderborner Kräfte beendet ist, steht nicht fest.
Die Feuerwehr Hövelhof hat am Sonntagnachmittag schon einmal zehn Mann mit zwei Fahrzeugen nach Schönebeck geschickt, um Kameraden abzulösen. Und gestern Abend rückte auch die DLRG Büren unter der Leitung von Dirk Kleeschulte in Richtung Magdeburg aus. www.kfv-paderborn.de
Magdeburger verlassen ihre Häuser – Soldaten wollen Umspannwerk halten
Halle (dpa). »Unglaublich«, entfährt es Bundespräsident Joachim Gauck, als er in Halle (Sachsen-Anhalt) die gewaltige Zerstörung in den Hochwassergebieten sieht.
»Man kann sich nicht vorstellen, was da zu bewältigen ist«, sagt er mit Blick auf die zerstörerische Kraft der Saale.
Wo die Flut schon abläuft, etwa in Sachsen oder in Bayern, stehen viele Menschen vor den Scherben ihrer Existenz. In Magdeburg und weiter elbabwärts haben die Menschen lange gehofft, dass sie glimpflicher davonkommen. Aber gestern werden die Prognosen immer bedrohlicher, in Magdeburg stehen ganze Stadtteile unter Wasser. »Rothensee läuft voll wie eine Badewanne«, sagt Bundeswehrsprecher Andrè Sabzog.
Die Verzweiflung ist mit Händen zu greifen. Die Einsatzkräfte in Sachsen-Anhalts Hauptstadt Magdeburg gehen bis an die Grenzen ihrer Kräfte. 700 Soldaten versuchen mit allen Mitteln, ein Umspannwerk in der Stadt zu halten. Sollten sie den Kampf verlieren, hätte das verheerende Folgen: Viele der Pumpen, die pausenlos durchsickerndes Wasser zurück in die Elbe schaffen, hätten keinen Strom mehr.
Tausende Magdeburger folgen nach anfänglichem Zögern dem Aufruf zur Evakuierung. Eine Familie hetzt mit drei Kindern, Koffern und einem Käfig mit Wellensittichen zu ihrem Auto. Ein älteres Ehepaar rettet noch seinen Hund in einen Transportpanzer, mit dem die Bundeswehr die Senioren in Sicherheit bringt.
Elbabwärts im niedersächsischen Hitzacker bereiten sich die Menschen so gut wie möglich auf die Flut vor. Helfer stapeln an einem Ausflugslokal Sandsäcke. »Ich kann das Wort Hochwasser nicht mehr hören«, sagt Ronald Jatzkowski. »Ich habe 2002, 2003, 2006 und 2011 mitgemacht – und jetzt 2013, langsam ist es genug.«
Damit Deichbrüche zumindest so früh wie möglich bemerkt werden, sind fast überall entlang der Elbe sogenannte Deichläufer unterwegs. Steffen Wenzel ist für einen Abschnitt in der Nähe der sächsischen Stadt Torgau zuständig. Stundenlang läuft er an der Elbe entlang. Wenn der Deich irgendwo zu wackeln droht, merkt er es als erster. Dann müssen dann Hunderte Helfer kommen und Sandsäcke stapeln.
Im sächsischen Bad Schandau im Oberen Elbtal haben die Menschen die akute Gefahr schon hinter sich. Die Elbe hat den Ort drei Meter tief unter Wasser gesetzt. Es war das vierte Hochwasser seit 2002 und das zweite sogenannte Jahrhunderthochwasser in elf Jahren. »Ich hätte nicht gedacht, dass ein Jahrhundert so schnell vergeht«, sagt Bürgermeister Andreas Eggert. Wie es weitergeht in dem Ort nahe der tschechischen Grenze weiß niemand. »Wir haben Angst, das viele weggehen«, sagt Gudrun Michael. Finanziell seien viele am Ende. »Da ist einfach die Kraft nicht mehr da, da gehen Existenzen kaputt.« Schon 2006 nach der ersten Wiederkehr der Flut hatten 100 Bürger die Stadt verlassen.
Westfälisches Volksblatt