Hochspannung am Headset. Wo die Notrufe der Nummer 112 eingehen: Ein Besuch in der Leitstelle der Feuerwehr.{gallery}news/2014/140212kftz1{/gallery}
Kreis Paderborn: Wenn’s eng wird, holt „Big Ben“ den Kollegen aus der Pause. Als einer von mehreren Klingeltönen signalisiert die berühmte britische Glocke in allen Räumen der Leitstelle: Die drei Disponenten sind gerade mit Notrufen beschäftigt, der vierte Mann muss her. Am „Europäischen Tag des Notrufs 112“ durfte NW-Volontärin Kristine Greßhöner den Mitarbeitern der Notrufzentrale über die Schultern schauen.
Wer im Kreis Paderborn die 112 anruft, landet automatisch bei der Kreisfeuerwehr, räumlich also direkt neben dem Flughafen. Auf ihren fünf Displays – an jedem Arbeitsplatz stehen vier Monitore und ein Touchpad – können die ausgebildeten Feuerwehrleute sofort sehen, welche Nummer der Anrufer gewählt hat. Bestellt ein Seniorenstift für einen Bettlägerigen einen Krankentransport – oder handelt es sich um einen akuten Notfall. Letzterer geht immer vor, andere Gespräche werden kurzfristig in die Warteschleife gehängt.
Tagsüber ist die Leitstelle mit drei Feuerwehrmännern besetzt, Disponenten genannt. Nachts und am Wochenende sind es zwei. Ein weiterer hält sich im Gebäude zur Verfügung. Zwischendurch wird getauscht. 17 Disponenten gibt es insgesamt, allesamt Berufsfeuerwehrleute, geschult in Abfragetechnik und ausgebildet als Rettungssanitäter. Jeder arbeitet in einer 24-Stunden-Schicht, hat anschließend zwei Tage frei. Frauen seien keine hier beschäftigt, sagt Marc Hammerstein auf Nachfrage. „Fände ich aber gut.“ Der Brandamtmann aus Schloss Neuhaus steht der Leitstelle seit Juni 2013 vor. Die Arbeit geschehe dank des Einsatzleitrechners – einer Kombination aus Datenbank, Kartenmaterial und Telefonanlage – deutlich schneller als früher, aber „den Kopf einschalten“ müsse jeder Kamerad am Headset dennoch. {gallery}news/2014/140212kftz2{/gallery}Denn die Aufgabe des Disponenten bestehe vor allem darin, die Schwere des gemeldeten Notfalls einzuschätzen, so wie sie der meist aufgeregte, manchmal schreiende, selten auch überraschend einsilbige und vermeintlich ruhig wirkende Anrufer schildert. „Brennen tut’s relativ selten“, sagt der 40- Jährige, am meisten gemeldet würden internistische Notfälle, beispielsweise wenn jemand unter Atemnot leidet. In Zukunft sollen die Disponenten die Anrufer verstärkt ermutigen, selbst Hand anzulegen und vor Eintreffen des Rettungswagens eine Herzmassage durchzuführen. „Davon erhoffen wir uns sehr viel.“
Auch das System „eCall“ (kurz für emergency call) wird mit Spannung erwartet: Ab Ende 2015 muss es verpflichtend in neue Fahrzeuge eingebaut werden. Geschieht ein Unfall, wird an die europaweit einheitliche 112 automatisch ein GPS-Signal gesendet. Die Telefonzentrale verbirgt sich in einem großen Büroraum. Durch die Fenster fällt Tageslicht. An einem der höhenverstellbaren Schreibtische steht Dienstgruppenleiter Rudolf Reiling. Seit fast zwanzig Jahren arbeitet er hier. Reiling strahlt nicht nur sprichwörtlich eine professionelle Ruhe aus. Gefragt, wie er die Erlebnisse verarbeitet, verweist er auf körperliche Ertüchtigung: „Ich fahre nach der Arbeit mit dem Fahrrad nach Hause.“ Die Gedanken blieben im Büro. Als das Telefon klingelt, unterbricht er das Gespräch, eine rote Lampe leuchtet über seinem Arbeitsplatz auf, er blickt auf die Monitore, tippt mit dem Finger auf den Display und sagt, ohne seinen Namen zu nennen: „Notruf, Feuerwehr und Rettungsdienst“ – und lauscht. Zwei Mal versucht er es mit einem fragenden „Hallo“, dann legt er wieder auf. „Wir könnten denjenigen jetzt zurückrufen, aber der Erfahrung nach ist da jemand unbeabsichtigt auf die Handytastatur gekommen.“ Reiling zuckt die Schultern. Noch weniger Verständnis hat er für Spaßanrufer. Vor allem wenn es sich um angetrunkene Erwachsene handelt, muss er schon mal durchatmen, wie er sagt. Vor allem in der Ferienzeit rufen viele aus Jux an. Die nächste Anruferin ist dagegen völlig aufgelöst. Reiling hört zu. Fragt nach dem Familiennamen, notiert die Hausnummer. Seinen Kollegen Daniel Stüker bittet er, einen Rettungswagen anzufunken, der in der Nähe der Adresse ist. Als alle Daten erfasst sind, legt er auf. Automatisch wurde das Gespräch im Hintergrund aufgezeichnet. Später wird die Besatzung des Rettungswagens einen Notarzt nachfordern. „Manche kriegt man nicht eingefangen“, sagt Reiling – und meint jene, die nur schwer zu beruhigen sind und nicht wissen, wo sie sich gerade befinden. Das sei für ihn als Disponent am stressigsten: unter Zeitdruck zu erfahren, wo genau jemand ist. „Das ist heutzutage mit den Handys ein Problem“, sagt er. Und weist auf eine Karte: Aufgeführt sind die Parkbänke im Bad Lippspringer Kurpark, alle durchnummeriert. Auch an Seen stehen immer mehr Hinweisschilder mit Verweis auf eine Ziffernfolge, die im Notfall zu nennen ist. „Routine kann tödlich sein“, wirft Reiling nebenbei ein. Da klingelt bereits wieder das Telefon, und er meldet sich
Bericht: Neue Westfälische
Fotos: Marc Köppelmann
Foto 1: Fast zwanzig Jahre unter 112 erreichbar: Rudolf Reiling muss entscheiden, ob jemand einen Rettungswagen benötigt – oder ob der Anrufer beim Hausarzt besser aufgehoben wäre.
Foto 2: BA Marc Hammerstein